Difference between revisions of "Scientific methods and societal paradigms (German)"

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== Methodologische Paradigmen im Lauf der Zeit ==
 
== Methodologische Paradigmen im Lauf der Zeit ==
Im Spannungsfeld zwischen neuen Paradigmen und der bestehenden Methodik kann eine Anpassung bestehender Methoden oder eine Entwicklung gänzlich neuer Methoden erforderlich sein. Während z.B. in den 1720er Jahren im Anschluss an Locke und Bacon die Herangehensweise an die Newtonsche Theorie weitgehend induktiv war, wurden in den folgenden Jahrzehnten Wärme, Elektrizität und Phänomene der Chemie proklamiert, von denen kaum behauptet werden kann, dass sie induktiv abgeleitet sind, da sie als solche nicht beobachtbar sind. In der Folge wurde eine Methodik abgeleitet, die die hypothesenbildende Deduktion ermöglichte, die noch eine ganze Weile vorherrschen und sogar dominieren sollte. Lakatos bot eine Modifikation der Kuhn'schen "Revolutionen" an, indem er proklamierte, dass mehrere alternative "Forschungsprogramme" parallel existieren können, und zwar interagierende, vielleicht sogar mehrere Theorien, die um einen heuristischen Kern herum aufgebaut sind. Allerdings hält Lakatos - ebenso wie Kuhn - die empirische Evidenz bzw. die Methodologie immer noch für zentral und lässt nur die messbare Realität als Maßstab für den Erfolg eines neuen Paradigmas gelten. Wiederum führte Laudan ein neues Argument ein, um das Maß für den Erfolg einer Theorie zu ergänzen: Statt sich darauf zu verlassen, wie viele signifikante Probleme eine neue Theorie lösen kann, macht er sich Gedanken über den Wahrheitsgehalt von Theorien und schlägt stattdessen vor, zu vergleichen, inwiefern eine Theorie effektiver oder fortschrittlicher ist als eine andere Theorie. Sowohl Kuhn als auch Lakatos behaupteten, dass ein Paradigma und damit der zugehörige Wissenschaftszweig dann Reife erlangt, wenn es genügend Ansehen erlangt, um Anomalien zu ignorieren, und unabhängig von äußerer Kritik wird. Sowohl Kuhn als auch Lakatos betrachten dies als positiv, da es diesen Teil der Wissenschaft fortschrittlicher macht.
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Im Spannungsfeld zwischen neuen Paradigmen und der bestehenden Methodik kann eine Anpassung bestehender Methoden oder eine Entwicklung gänzlich neuer Methoden erforderlich sein. Während z.B. in den 1720er Jahren im Anschluss an Locke und Bacon die Herangehensweise an die Newtonsche Theorie weitgehend induktiv war, wurden in den folgenden Jahrzehnten Wärme, Elektrizität und Phänomene der Chemie proklamiert, von denen kaum behauptet werden kann, dass sie induktiv abgeleitet sind, da sie als solche nicht beobachtbar sind. In der Folge wurde eine Methodik abgeleitet, die die hypothesenbildende Deduktion ermöglichte, die noch eine ganze Weile vorherrschen und sogar dominieren sollte. Lakatos bot eine Modifikation der Kuhn'schen "Revolutionen" an, indem er proklamierte, dass mehrere alternative "Forschungsprogramme" parallel existieren können, und zwar interagierende, vielleicht sogar mehrere Theorien, die um einen heuristischen Kern herum aufgebaut sind. Allerdings hält Lakatos - ebenso wie Kuhn - die empirische Evidenz bzw. die Methodologie immer noch für zentral und lässt nur die messbare Realität als Maßstab für den Erfolg eines neuen Paradigmas gelten. Wiederum führte Laudan ein neues Argument ein, um das Maß für den Erfolg einer Theorie zu ergänzen: Statt sich darauf zu verlassen, wie viele signifikante Probleme eine neue Theorie lösen kann, macht er sich Gedanken über den Wahrheitsgehalt von Theorien und schlägt stattdessen vor, zu vergleichen, inwiefern eine Theorie effektiver oder fortschrittlicher ist als eine andere Theorie. Sowohl Kuhn als auch Lakatos behaupteten, dass ein Paradigma und damit der zugehörige Wissenschaftszweig dann Reife erlangt, wenn es genügend Ansehen erlangt, um Anomalien zu ignorieren, und - temporär - unabhängig von äußerer Kritik wird. Sowohl Kuhn als auch Lakatos betrachten dies als positiv, da es diesen Teil der Wissenschaft fortschrittlicher macht.
 
 
Laudan kritisierte diese Vorstellung zutiefst und hielt ihre Sicht auf die Wissenschaftsgeschichte für weitgehend fehlerhaft und konstruiert. Darüber hinaus betrachtet die Wissenschaftsgeschichte Teile der Realität, jenseits der Illusion, dass es sich um rationale Agenten handelt, die als Wissenschaftler*innen handeln. Diese Vorstellung von Teilen der Realität kann mit Roy Baskhars Ansicht verbunden werden, dass alle Wissenschaft nur Teile der Realität erschließen kann, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden sind oder sinnvoll verbunden werden können, da einige Teile der Realität nicht beobachtet werden können. Dies ist eine wichtige Verbindung zu Laudan, der behauptet, dass wir die rationale wissenschaftliche Entscheidung noch nicht verstanden haben, dieses Verständnis aber eine Voraussetzung dafür ist, den sozialen Hintergrund zu untersuchen, in den die jeweilige Wissenschaft eingebettet ist. Was ich hier als "große Entführung" bezeichne, ist also die nahtlose Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, bei der wir erkennen müssen, dass diese beiden Bereiche nicht zwei verschiedene Entitäten sind, sondern oft eingebettet und integriert sind und manchmal überhaupt nicht unterschieden werden können. Während ein Großteil des Positivismus oft eine deduktive Position beanspruchte, operiert die gesellschaftliche Entwicklung sicherlich auf längeren Zeitskalen. Die Gesellschaft hat Fragen, die die Wissenschaft beantworten kann, und Anforderungen, die die Wissenschaft erfüllen muss. Die Wissenschaft hat viele Anforderungen der Gesellschaft bereitwillig erfüllt und hat auch zu vielen Entwicklungen in der Gesellschaft beigetragen, von denen viele zu Recht kritisiert werden, während andere Entwicklungen auch zu positiven Verdiensten führen. Nach Laudan sollten wir jedoch nicht nur infrage stellen, dass Wissenschaftler*innen objektiv sind, sondern nach Bhaskar müssen wir auch ihren Anspruch infrage stellen, die objektive Realität erklären zu wollen. Weder ist die Wissenschaft rational, noch können Wissenschaftler*innen als rationale Akteur*innen dargestellt werden, noch kann die Gesellschaft eine völlige Abkopplung von den vorgeschlagenen Elfenbeintürmen der Wissenschaft beanspruchen.  
 
  
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Laudan kritisierte diese Vorstellung zutiefst und hielt ihre Sicht auf die Wissenschaftsgeschichte für weitgehend fehlerhaft und konstruiert. Darüber hinaus betrachtet die Wissenschaftsgeschichte Teile der Realität, jenseits der Illusion, dass es sich um rationale Akteur*innen handelt, die als Wissenschaftler*innen handeln. Diese Vorstellung von Teilen der Realität kann mit Roy Bhaskars Ansicht verbunden werden, dass alle Wissenschaft nur Teile der Realität erschließen kann, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden sind oder sinnvoll verbunden werden können, da einige Teile der Realität nicht beobachtet werden können. Dies ist eine wichtige Verbindung zu Laudan, der behauptet, dass wir die rationale wissenschaftliche Entscheidung noch nicht verstanden haben, dieses Verständnis aber eine Voraussetzung dafür ist, den sozialen Hintergrund zu untersuchen, in den die jeweilige Wissenschaft eingebettet ist. Was ich hier als "große Abduktion" bezeichne, ist also die nahtlose Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, bei der wir erkennen müssen, dass diese beiden Bereiche nicht zwei verschiedene Entitäten sind, sondern dass sie oft eingebettet und integriert sind und manchmal überhaupt nicht unterschieden werden können. Während ein Großteil des Positivismus oft eine deduktive Position beanspruchte, operiert die gesellschaftliche Entwicklung sicherlich auf längeren Zeitskalen. Die Gesellschaft hat Fragen, die die Wissenschaft beantworten kann, und Anforderungen, die die Wissenschaft erfüllen muss. Die Wissenschaft hat viele Anforderungen der Gesellschaft bereitwillig erfüllt und hat auch zu vielen Entwicklungen in der Gesellschaft beigetragen, von denen viele zu Recht kritisiert werden, während andere Entwicklungen auch zu positiven Verdiensten führen. Nach Laudan sollten wir jedoch nicht nur infrage stellen, dass Wissenschaftler*innen objektiv sind, sondern nach Bhaskar müssen wir auch ihren Anspruch infrage stellen, die objektive Realität erklären zu wollen. Weder ist die Wissenschaft rational, noch können Wissenschaftler*innen als rationale Akteur*innen dargestellt werden, noch kann die Gesellschaft eine völlige Abkopplung von den vorgeschlagenen Elfenbeintürmen der Wissenschaft beanspruchen.
  
 
== Weg vom derzeitigen gesellschaftllichen Zweifel an der Wissenschaft, und der wissenschaftlichen Arroganz gegenüber der Gesellschaft ==
 
== Weg vom derzeitigen gesellschaftllichen Zweifel an der Wissenschaft, und der wissenschaftlichen Arroganz gegenüber der Gesellschaft ==

Revision as of 19:33, 8 January 2024

Note: This is the German version of this entry. The original, English version can be found here: Scientific methods and societal paradigms. This entry was translated using DeepL and only adapted slightly. Any etymological discussions should be based on the English text.

Kurz und knapp: Dieser Eintrag diskutiert den Einfluss von wissenschaftlichen Methoden auf die Gesellschaft, und anders herum.

Die Rolle wissenschaftlicher Paradigmen für die Gesellschaft

Von früh an waren wissenschaftliche Paradigmen Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen. Während viel passiert sein mag, was nicht durch die archäologischen Aufzeichnungen und andere Darstellungen der Geschichte vermittelt wird, sind viele Hochkulturen der Antike für ihre frühe Entwicklung der Wissenschaft in Erinnerung geblieben. Die frühe Wissenschaft hatte oft entweder einen ausgeprägten praktischen Fokus, wie in der Metallurgie, oder war mehr mit dem Metaphysischen verbunden, wie in der Astronomie. Doch schon damals wurden das Ontologische (wie wir unser Wissen über die Welt deuten) und das Epistemologische (wie wir Wissen über die Welt erzeugen) vermischt, da die Astronomie auch die Navigation ermöglichte, und viele der Glaubenssysteme wurzelten manchmal in der astronomischen Wissenschaft oder wurden durch sie verstärkt. Prominente Beispiele sind der Stern von Bethlehem, der mesoamerikanische Long Count Kalender und der Maya-Kalender. Allerdings stand die Wissenschaft den größten Teil der letzten zwei Jahrtausende in einem kritischen Verhältnis zum Metaphysischen. Die Suche nach ontologischen Wahrheiten war gezeichnet von einer kontinuierlichen Debatte zwischen Religionen und Wissenschaft. Während der Osten der Wissenschaft offener gegenüberstand und ihre Vorzüge aktiv nutzte, wurden in Europa viele Entwicklungen als kritisch gesehen, ein prominentes Beispiel ist hier Galileo Galilei. Da sich dies mit der Aufklärung änderte, ebnete die Wissenschaft den Weg für den Aufstieg der europäischen Reiche und die damit verbundenen Paradigmen.


Drei Beispiele aktiver Wechselwirkung

Während zuvor bereits die Methodengeschichte im Fokus stand, wollen wir uns hier darauf konzentrieren, wie die Entwicklung wissenschaftlicher Methoden mit gesellschaftlichen Paradigmen interagierte. Oft wird behauptet, die Wissenschaft befinde sich in einem Elfenbeinturm und sei von der Gesellschaft weitgehend abgekoppelt. Während dies nicht für alle Wissenschaftszweige verallgemeinert werden kann, ist es klar, dass einige Wissenschaftszweige stärker mit der Gesellschaft verbunden sind als andere. Werfen wir einen Blick auf drei Beispiele.

Medizin

Ein prominentes Beispiel für eine starke Interaktion beider Sphären ist die Medizin, in deren Zentrum die Sorge um die Patient*innen steht. Diese naive Annahme kann jedoch die verschiedenen Paradigmen nicht zusammenfassen, die die Medizin im Laufe der Zeit beeinflusst und aufgebaut haben. Heute hat die Anamnese - also die Informationen, die ein*e Ärzt*in durch gezielte Fragen an den*die Patient*in gewinnt - an Bedeutung gewonnen, und die interdisziplinären Konferenzen moderner Behandlungen verbinden unterschiedliche Expertisen mit dem Ziel, die Krankheiten oder Herausforderungen des*der einzelne*n Patient*in ganzheitlicher zu erkennen.

Ingenieurswissenschaften

Ingenieurswissenschaften sind ein weiterer Wissenschaftszweig, der auf einer langen Tradition aufbaut und in seinen Anfängen vielen Entwicklungen der Moderne buchstäblich den Weg geebnet hat. Während Fabriken und Produktionsprozesse heute auch kritischer gesehen werden, ist schon seit Marx klar geworden, dass die Arbeitsbedingungen der modernen Produktion nicht unabhängig von Fragen der Ungleichheit sind. Hinzu kommt, dass sich die Produktionsprozesse heute verschieben, um nachhaltigere Produktionsprozesse zu ermöglichen, was auf einen weiteren Paradigmenwechsel in den Ingenieurswissenschaften hinweist.

Landwirtschaft

Das letzte Beispiel, die Agrarwissenschaft, ist ebenfalls weitgehend auf der positivistischen Methodik der modernen Wissenschaft aufgebaut, die eine Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion zur Maximierung des landwirtschaftlichen Ertrags ermöglicht, oft mit schlimmen Folgen. Die sogenannte "Grüne Revolution" hat die Umwelt verwüstet, lokale Lebensgrundlagen auf der ganzen Welt zerstört und traditionelle sozial-ökologische Systeme in missbräuchliche Formen verwickelt, die schließlich in vielen Teilen der Welt zu ihrem Untergang führten.

Diese drei Beispiele zeigen, wie die Entwicklung der modernen Wissenschaft zu missbräuchlichen, unausgewogenen und oft nicht nachhaltigen Entwicklungen führte, die auf lange Sicht neue Paradigmen wie die Postmoderne, Degrowth, und andere oft kontrovers diskutierte Alternativen zu bestehenden Paradigmen auslösten. Die Wissenschaft war eindeutig eine Komplizin beim Vorantreiben vieler negativer Entwicklungen und entwickelte bereitwillig viele methodische Grundlagen und Paradigmen, die nach längerer Nutzung in einem anderen Licht gesehen wurden.

Ebenso trieb die Gesellschaft die Nachfrage nach wissenschaftlichen Untersuchungen an, verlangte Lösungen von der Wissenschaft und finanzierte dadurch oft die Wissenschaft als Mittel zum Zweck. Folglich handelte die Wissenschaft oft moralisch falsch oder bot nicht die tiefgreifenden Hebelpunkte, die einen transformativen Wandel vorantreiben könnten. Eine solche kritische Sicht auf die Wissenschaft entstand teilweise aus der Gesellschaft heraus, und insbesondere entstand eine Sicht auf empirische Ansätze aus der Philosophie heraus.


Isolierte Wissenschaft

Da die Aufklärung als ein Zeitalter der Festigung vieler wissenschaftlicher Disziplinen gesehen werden kann, finden sich hier, aber auch später, prominente Beispiele für eine Wechselwirkung zwischen wissenschaftlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Paradigmen. Da wissenschaftliche Disziplinen explizit Teile der Realität betrachten, werden diese Teile oft in wissenschaftlichen Theorien gebändigt, und diese Theorien werden oft in gesellschaftliche Paradigmen übersetzt. Die Wissenschaft hat wiederholt zu dem beigetragen, was wir als Kategorienfehler interpretieren können, denn wissenschaftliche Theorien, die einen Teil der Welt zu erklären versuchen, wurden und werden oft auf andere Teile der Welt übertragen. Der zweite Fehler besteht darin, dass wissenschaftlicher Fortschritt als kontinuierlich angesehen werden kann, während gesellschaftliche Paradigmen oft Momentaufnahmen wissenschaftlicher Theorien verwenden und dazu neigen, die weitere Entwicklung im jeweiligen Wissenschaftszweig zu ignorieren. Dies macht die Wissenschaft wiederum angreifbar, da sie die Verantwortung für Fehler der Gesellschaft bei der Interpretation wissenschaftlicher Theorien und deren Umsetzung in gesellschaftliche Paradigmen übernehmen muss. In dem folgenden Absatz werde ich diese kapitalen Fehler der Wissenschaft anhand einiger Beispiele illustrieren.

Sozialdarwinismus

Die Evolutionstheorie von Charles Darwin kann als ein erstes Beispiel dafür angesehen werden, wie eine wissenschaftliche Theorie katastrophale Folgen hatte, als sie als gesellschaftliches Paradigma adaptiert wurde. Die Vorstellung, dass die Armen im spätviktorianischen England einer staatlichen Intervention nicht würdig waren und dass die Sozialfürsorge daher ein Fehler war, baute auf einem Missverständnis von Darwins Theorie auf, und Darwin wandte sich gegen die Anwendung seiner Theorie für gesellschaftliche Debatten. Darüber hinaus war er entsetzt darüber, dass seine Ideen auch als Grundlage für die Behauptung der Überlegenheit einiger "Rassen" über andere "Rassen" genommen wurden, eine krude und wissenschaftlich falsche Behauptung, die den Weg für einige der schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts ebnete.

Die Friedman-Doktrin

Ein weiteres Beispiel ist Milton Friedmans Theorie der Aktionär*innen, die behauptet, dass Unternehmen in erster Linie Verantwortung gegenüber ihren Aktionär*innen haben. Während dies wie ein vernünftiger Gedanke erscheint, wurden die Folgen für die Weltwirtschaft von vielen als katastrophal angesehen. Friedmans Theorie forderte eine flächendeckende Privatisierung, auch für viele Länder außerhalb der USA wurde dies versucht und zerstörte ganze Volkswirtschaften. Die Stakeholder-Theorie schließlich bot eine fundierte Entwicklung, die der Friedman'schen Doktrin etwas entgegensetzen konnte. Sie ermöglichte die Anerkennung von allen Akteur*innen, die ein Interesse an der Entscheidung eines Unternehmens haben oder davon betroffen sind, und ging damit über die begrenzte Idee von Aktionär*innen hinaus. Während das Wort "Stakeholder" zutiefst zweideutig ist, zeigt die Stakeholder-Theorie und die Beziehung zu Friedmans Doktrin direkte und drastische Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auf.

Mode 2 Forschung

Ein letztes Beispiel, um zu zeigen, wie ein neues Forschungsparadigma tief mit sozialen Paradigmen verstrickt sein kann, ist das Konzept der "Mode 2"-Forschung. Dieses neue Paradigma schlug die systematische Anerkennung des Kontexts vor, der von multidisziplinären Teams in einem auf die reale Welt gerichteten Modus der Wissensproduktion untersucht wird. Indem er sich auf Probleme der Zivilgesellschaft konzentriert, entfernt sich dieser neue Forschungsmodus von der Grundlagenforschung und versucht, eine aktive Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu entwickeln. Während sich die Wissenschaft damit öffnete, kritisierten Gatekeeper dieses neue Paradigma oder behaupteten, dass es schon lange existierte, bevor es offiziell verkündet wurde. Klar ist, dass diese Denkrichtung an Bedeutung gewann und zeigt, dass die Interaktionen zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine breitere Anerkennung fanden und zunehmend institutionalisiert wurden, obwohl die Wissenschaft bis heute größtenteils in Disziplinen organisiert ist. Tiefes Verständnis in einem Wissenschaftszweig ist unbestreitbar hilfreich, aber es gibt eine anhaltende Debatte darüber, ob die Wissenschaft problem- oder sogar lösungsorientiert sein sollte und ob viele der "wicked problems", mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, nicht nur in Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen, sondern auch zusammen mit der Gesellschaft angegangen werden müssen. Aus methodischer Sicht stellte dies neue Herausforderungen dar, da diese Art der neuen Wissensproduktion nicht nur ein neues Spektrum an methodischen Ansätzen erforderte, sondern auch das immer noch weithin dominierende Paradigma des Positivismus in Frage stellte.

Der Tanz von Wissenschaft und Gesellschaft

Seit der Antike befinden sich Wissenschaft und Gesellschaft in einer ständigen spiralförmigen Bewegung umeinander. Während die wissenschaftlichen Methoden von ihrer Zeit geprägt sind, sind die Zeiten auch von der wissenschaftlichen Methodik geprägt. Notwendig ist jedoch die enge und wechselseitige Interaktion zwischen empirischer Untersuchung und der Frage, wie wir auf der Grundlage unseres wachsenden Wissens handeln sollen. Die Wissenschaft fängt gerade erst an, die komplizierte Beziehung zwischen Epistemologie und Ontologie zu entschlüsseln, und die Verwechslung zwischen beiden hat in der wissenschaftlichen Tradition bis heute viele Probleme geschaffen. Um eine robuste und kritische Wissenschaftstheorie zu entwickeln, bietet das Lernen aus der vergangenen Entwicklung der Wissenschaft eine große Chance. Zwischen der Anerkennung des Positivismus, der Kritischen Theorie und Kuhns Anerkennung der wissenschaftlichen Revolution gibt es jedoch auch ein kontinuierlicheres Verständnis der Wissenschaftsgeschichte, das Larry Laudan als "eine Geschichte der Ideen" (History of Ideas) bezeichnete. Laudan sprach von einer "Geschichte der Ideen" anstelle einer Geschichte von Disziplinen oder Wissenschaftler*innen und kritisierte den Fokus auf Eliten in der Wissenschaftsgeschichte. Er betonte, dass viele Menschen ähnliche Ideen hatten, und dass Ideen bestehende Realitäten durchbrechen können. Laudan war Disziplinen gegenüber sehr skeptisch, deren vermeintliche Grenzen er nicht so streng wahrnahm. Er bevorzugte Ideen als Denkeinheit, um Konzepte und die Entwicklung von Lösungen zu verstehen. Ein zentrales Element seiner "History of Ideas" war die Frage, was real ist und was in der Vergangenheit real war, was wiederum eng mit Kritischem Realismus zusammenhängt.

Bei der Betrachtung vergangener Entwicklungen in der Wissenschaft gibt es einen Zusammenstoß zwischen rationalen Ansichten über vergangene Entwicklungen und der Rolle sozialer, kultureller und gesellschaftlicher Faktoren, die die vergangenen Entwicklungen der Wissenschaft beeinflusst haben. Laudan unterscheidet zwischen den Organisationsformen und institutionellen Strukturen, die die Wissenschaft und die Wissenschaftler*innen der Vergangenheit hatten, und differenziert diese von ihren Überzeugungen. Laudan differenziert zwischen "kognitiven und nicht-kognitiven Aspekten" und behauptet damit, dass Wissenschaft nicht immer rational betrieben wird. Stattdessen argumentiert Laudan, dass Wissenschaftler*innen oft kühne, aber irrationale Entscheidungen trafen, weniger überzeugende Theorien wählten, Traditionen entfremdeten oder sogar nicht fortschrittliche Theorien wählten. All dies sollte als laufender wissenschaftlicher Disput verstanden werden, doch die Wissenschaftssoziologie hat bisher noch keine oder wahrscheinlich mehrere Erklärungen dafür gefunden, warum Wissenschaftler*innen in der Vergangenheit von rationalen Wegen abgewichen sind. Die Mythen, dass wissenschaftlicher Fortschritt und damit die Formulierung von Wissen, die man als wissenschaftliche Revolutionen zusammenfassen kann, von rationalen Akteur*innen hervorgebracht wird, sind bestenfalls kritisch zu sehen.

Methodologische Paradigmen im Lauf der Zeit

Im Spannungsfeld zwischen neuen Paradigmen und der bestehenden Methodik kann eine Anpassung bestehender Methoden oder eine Entwicklung gänzlich neuer Methoden erforderlich sein. Während z.B. in den 1720er Jahren im Anschluss an Locke und Bacon die Herangehensweise an die Newtonsche Theorie weitgehend induktiv war, wurden in den folgenden Jahrzehnten Wärme, Elektrizität und Phänomene der Chemie proklamiert, von denen kaum behauptet werden kann, dass sie induktiv abgeleitet sind, da sie als solche nicht beobachtbar sind. In der Folge wurde eine Methodik abgeleitet, die die hypothesenbildende Deduktion ermöglichte, die noch eine ganze Weile vorherrschen und sogar dominieren sollte. Lakatos bot eine Modifikation der Kuhn'schen "Revolutionen" an, indem er proklamierte, dass mehrere alternative "Forschungsprogramme" parallel existieren können, und zwar interagierende, vielleicht sogar mehrere Theorien, die um einen heuristischen Kern herum aufgebaut sind. Allerdings hält Lakatos - ebenso wie Kuhn - die empirische Evidenz bzw. die Methodologie immer noch für zentral und lässt nur die messbare Realität als Maßstab für den Erfolg eines neuen Paradigmas gelten. Wiederum führte Laudan ein neues Argument ein, um das Maß für den Erfolg einer Theorie zu ergänzen: Statt sich darauf zu verlassen, wie viele signifikante Probleme eine neue Theorie lösen kann, macht er sich Gedanken über den Wahrheitsgehalt von Theorien und schlägt stattdessen vor, zu vergleichen, inwiefern eine Theorie effektiver oder fortschrittlicher ist als eine andere Theorie. Sowohl Kuhn als auch Lakatos behaupteten, dass ein Paradigma und damit der zugehörige Wissenschaftszweig dann Reife erlangt, wenn es genügend Ansehen erlangt, um Anomalien zu ignorieren, und - temporär - unabhängig von äußerer Kritik wird. Sowohl Kuhn als auch Lakatos betrachten dies als positiv, da es diesen Teil der Wissenschaft fortschrittlicher macht.

Laudan kritisierte diese Vorstellung zutiefst und hielt ihre Sicht auf die Wissenschaftsgeschichte für weitgehend fehlerhaft und konstruiert. Darüber hinaus betrachtet die Wissenschaftsgeschichte Teile der Realität, jenseits der Illusion, dass es sich um rationale Akteur*innen handelt, die als Wissenschaftler*innen handeln. Diese Vorstellung von Teilen der Realität kann mit Roy Bhaskars Ansicht verbunden werden, dass alle Wissenschaft nur Teile der Realität erschließen kann, die nicht notwendigerweise miteinander verbunden sind oder sinnvoll verbunden werden können, da einige Teile der Realität nicht beobachtet werden können. Dies ist eine wichtige Verbindung zu Laudan, der behauptet, dass wir die rationale wissenschaftliche Entscheidung noch nicht verstanden haben, dieses Verständnis aber eine Voraussetzung dafür ist, den sozialen Hintergrund zu untersuchen, in den die jeweilige Wissenschaft eingebettet ist. Was ich hier als "große Abduktion" bezeichne, ist also die nahtlose Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, bei der wir erkennen müssen, dass diese beiden Bereiche nicht zwei verschiedene Entitäten sind, sondern dass sie oft eingebettet und integriert sind und manchmal überhaupt nicht unterschieden werden können. Während ein Großteil des Positivismus oft eine deduktive Position beanspruchte, operiert die gesellschaftliche Entwicklung sicherlich auf längeren Zeitskalen. Die Gesellschaft hat Fragen, die die Wissenschaft beantworten kann, und Anforderungen, die die Wissenschaft erfüllen muss. Die Wissenschaft hat viele Anforderungen der Gesellschaft bereitwillig erfüllt und hat auch zu vielen Entwicklungen in der Gesellschaft beigetragen, von denen viele zu Recht kritisiert werden, während andere Entwicklungen auch zu positiven Verdiensten führen. Nach Laudan sollten wir jedoch nicht nur infrage stellen, dass Wissenschaftler*innen objektiv sind, sondern nach Bhaskar müssen wir auch ihren Anspruch infrage stellen, die objektive Realität erklären zu wollen. Weder ist die Wissenschaft rational, noch können Wissenschaftler*innen als rationale Akteur*innen dargestellt werden, noch kann die Gesellschaft eine völlige Abkopplung von den vorgeschlagenen Elfenbeintürmen der Wissenschaft beanspruchen.

Weg vom derzeitigen gesellschaftllichen Zweifel an der Wissenschaft, und der wissenschaftlichen Arroganz gegenüber der Gesellschaft

Warum ist das heute relevant? In Anlehnung an Baskhar könnten wir argumentieren, dass viele Teile der Realität nie von uns erschlossen werden, obwohl sie existieren. Diese Phänomene werden nie Teil unserer Realität sein und sollen uns nicht weiter beschäftigen. Dies ist das erste Hindernis, vor dem gesellschaftliche Paradigmen und die Gesellschaft als solche heute stehen, da die übergreifende Akzeptanz der Grenzen der Wissenschaft nicht existiert. Stattdessen schwingt das Pendel zwischen Kritik an der Wissenschaft - oft als Mittel zum Zweck, wie es etwa die Klimawandelleugner*innen versuchen - und naiver Überraschung, wenn sich wissenschaftliche Ergebnisse ändern und die Anerkennung sogenannter "Fakten" in Frage gestellt wird. Die Erkenntnis des Kritischen Realismus, dass es möglicherweise keine dauerhaften Realitäten gibt, ist vor allem der aktuellen gesellschaftlichen Debatte in der westlichen Welt recht fremd, wo die Distanz zwischen einer Akzeptanz oder Ablehnung wissenschaftlicher Paradigmen in den letzten Jahren größer geworden ist. Was die Veränderbarkeit von Paradigmen betrifft, so müssen wir Bhaskar darin folgen, dass es klug sein kann, auf der Grundlage bestimmter wissenschaftlicher Ergebnisse zu handeln, aber wir müssen auch kritisch sein. Blind allem zu folgen, was Wissenschaftler*innen behaupten, funktioniert nicht, denn wie Laudan hervorhob, können wir nicht davon ausgehen, dass wissenschaftliche Akteur*innen immer rational sind. Postwahrheiten und Fake News sind also Facetten des Wissens, die gleichermaßen von irrationalen WissenschaftlerInnen oder von einem ignoranten Wissensdrang gesellschaftlicher Akteur*innen getrieben sein können. Sicherlich sind noch viel komplexere Phänomene Teil der Realität von Postwahrheiten, Fake News und den damit verbundenen Herausforderungen, denen wir derzeit gegenüberstehen. Doch indem wir entweder den Wissenschaftler*innen oder der Gesellschaft die Schuld geben, werden wir es nicht schaffen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Anstatt zu behaupten, was Wissenschaft sein sollte, sollten wir uns auf die Verantwortung des*der einzelne*n Wissenschaftler*in fokussieren, und der Aufbau auf einer kritischen "Ideengeschichte" wird ein besseres Verständnis dafür ermöglichen, wie wissenschaftliche Innovation in der Vergangenheit stattfand.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Wissenschaft und Gesellschaft nie so unverbunden waren, wie es in der Vergangenheit dargestellt wurde. Stattdessen wurden solche konstruierten Realitäten mit irreführenden Zielen aufgebaut, und in den letzten Jahrzehnten hat die Wissenschaftsphilosophie zunehmend versucht, diese Probleme zu lösen. In Anbetracht des aktuellen Zustands und der Gültigkeit der Wissensdebatten in Wissenschaft und Gesellschaft können wir eindeutig behaupten, dass die Verantwortung des*der einzelne*n Forscher*in ein guter Ausgangspunkt ist, um diese Herausforderungen weiter zu überwinden. Die aktuellen wissenschaftlichen Methoden lösen sich immer noch weitgehend um Dogmen und starre Traditionen herum auf, die an den Herausforderungen, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, mitgewirkt und diese aufgebaut haben. Das Erkennen dieser Fehler ist ein erster Schritt, um diese Probleme zu überwinden. Sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, wird eine der führenden Herausforderungen unserer Generation sein.

Weitere Infos

  • Mehr Infos über Kuhns Theorie der Paradigmenwechsel.

The author of this entry is Henrik von Wehrden.